Heute hätte eigentlich ein schöner Abend werden sollen. Doch irgendwie wurde er es nicht. Weil er mir, einmal mehr, die Augen geöffnet hat, und mich vor Entsetzen fast hat erstarren lassen. Doch alles nach und nach:

Ein Mal im Jahr findet in Berlin eine schwule Bootsfahrt statt. Sämtliche Schiffe der Berliner Spreefahrten veranstalten dann, ab 18:30 Uhr, bis in die Nacht hinein, eine Schwule Bootsfahrt. Wie das in Berlin so üblich ist, veranstaltet man so etwas selbst als Paar nicht nur mit seinem Partner, sondern verabredet sich mit Menschen, die man als „Freunde“ bezeichnet. Vielleicht trifft man sich auch mit Menschen, die man als „Bekannte“ bezeichnet, und die irgendwie immer dabei sind. Die man aber doch so wenig kennt, dass man ihnen nicht sein Herz ausschütten würde.

Wir bestiegen also um halb sieben eines dieser bunt geschmückten Boote auf der Spree, tranken Bier und Cocktails und wedelten wie verrückt mit unseren pinkfarbenen Puscheln, wenn wir eine Brücke unterquerten oder uns Menschen vom Ufer auf zuwinkten. Das, gepaart mit über 30 Grad Celsius und strahlendem Sonnenschein, hätte eigentlich die Garantie für einen tollen Abend sein können.

Doch dann passierte etwas, das meinem Partner und mir immer mal wieder passiert – unabhängig von unserem Alkoholpegel im Blut: Wir stellten plötzlich fest, wie unglaublich oberflächlich die Menschen in unserem Umfeld waren. Mein Partner meinte nur: „Ich habe meinen Job gekündigt und werde Berlin verlassen.“ Das allein hätte in den Köpfen wahrer Freunde ein Flut von Fragen auslösen müssen: „Warum?“, „Was passiert mit deinem Freund?“, „Wo gehst Du hin?“, „Kommst Du wieder zurück?“, „Verlasst ihr jetzt beide Berlin?“. Doch keiner dieser Fragen wurde gestellt. Buchstäblich: KEINE. Der, ebenfalls: buchstäblich, nächste Satz war: „Wollen wir eine Pizza essen, oder doch einen Burger?“. Keine Reaktion auf diese Neuigkeit. Kein „Ach!“. Kein „Oh!“. Keine verrollten Augen oder ein Klopfen auf die Schulter. Nichts.

Ich war entsetzt. Ich hätte es besser wissen können, denn ich kannte diese Leute, die ich „Freunde“ oder „Bekannte“ nannte. Und doch war ich ihnen in diesem Augenblick fremder als dem Fahrkartenkontrolleur im Zug. Nicht Ausgesprochenes kann manchmal mehr sagen als Worte. Wortlose Zeit kann manchmal Bände sprechen. Ich weiß das. Und doch trifft es mich wie der Schlag, wenn ich solchen Situationen unvorbereitet entgegentrete.

Es gibt Menschen, die mich mit ihrer bloßen Anwesenheit nach unten reißen. Nach unten in eine dunkle gefühllose Ecke. Diese Menschen schaffen genau das, obwohl wummernde Bässe und bunte Lichter um mich herum funkeln.

Immer wieder sage ich mir: „Komm darüber hinweg.“ – und das tue ich auch. Für den Moment sind die Dinge dann okay. Doch wenige Minuten oder Stunden später sitze ich hier, schreibe diese Zeilen und frage mich, was das Wort „Freundschaft“ eigentlich bedeutet, und wie wenig ich davon habe.

Ich bin angewidert von der Oberflächlichkeit Berlins. Manchmal habe ich das Gefühl, ich könnte blutend auf der Straße liegen, und diejenigen, die sich Freunde oder Bekannte nennen, laufen wortlos an mir vorbei, in den nächsten Club hinein. Nach 15 Jahren in dieser Stadt eine wirklich bittere Bilanz. Eine, die meinen Partner nun auch, letztendlich, aus dieser Stadt treibt. Ob es besser wird, da wo er nun hingeht, kann ich nicht sagen. Schlimmer als diese gefühlskalte Oberflächlichkeit kann es jedoch kaum werden.

Warten wir es ab. Doch für heute bin ich wirklich maßlos entsetzt und entschlossen, Dinge zu verändern.